Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Ostfriesland und Amerika – er baute Mühlen in zwei Welten
Hinrich Reemts Emminga verließ Ostfriesland zweimal – und kam zweimal zurück. Der Winde wehte den Mühlenbauer nach Amerika und zurück. Seine Spuren sind bis heute in der Neuen und Alten Welt sichtbar.
Holtrop/Felde - Kaum eine Auswandergeschichte zeigt die Zerrissenheit der Menschen, die Ostfriesland im 19. Jahrhundert vor allem in Richtung der Vereinigten Staaten von Amerika verließen, so gut wie die von Hinrich Reemts Emminga. Er war einer der Ersten, die um 1850 in Golden, Illinois, siedelten. Aber er war auch einer der wenigen, die von Heimweh geplagt die Neue Welt wieder verließen, um in der alten Heimat neu anzufangen. Emminga machte dies gleich zweimal – und hinterließ zudem auf beiden Kontinenten bis heute sichtbare Spuren seines Wirkens. In Ostfriesland wie auch in den USA steht eine Mühle. Eine gleicht der anderen fast wie ein Zwilling. Das ist kein Zufall: Beide konstruierte und baute der umtriebige Auswanderer.
Hinrich Reemts Emminga (1829-1888) ist der Erbauer der Mühle in Felde. Er wuchs in Holtrop oder Wiesens auf, was nicht eindeutig überliefert ist. Der gebürtige Ostfriese lernte sein Handwerk in Ostfriesland. Ende 1851 folgt Emminga mit seiner Frau Margaretha (1824-1868), einer geborenen Franzen, dem Ruf seines Schwagers Hinrich Franzen. Franzen war einer der ersten Siedler, die sich in der Prärie von Illinois niederließen. Ein Gebiet, das bis in die Gegenwart von deutschstämmigen Auswanderern, vorrangig aus Ostfriesland, geprägt ist. Franzen war ein Pionier in der Gegend von Adams County – und motivierte auch Emminga, ihm zu folgen.
Nur wenige Biografien sind ausführlich überliefert
Diese Auswandererbiografie ist durchaus eine besondere – nicht zuletzt, weil er mit seiner Familie sozusagen zwischen der neuen und der alten Welt pendelte. Nur wenige Lebenswege sind so detailliert überliefert wie die von Hinrich Emminga. Das liegt einerseits daran, dass er selbst aus einer durchaus gebildeten Familie stammte – und seine Nachfahren Wert darauf legten, die eigene Familiengeschichte aufzuschreiben. Hinrich und Margaretha bekamen fünf Kinder. Die beiden ältesten wurden noch in Deutschland geboren. Der älteste Sohn starb wie auch ein weiteres Kind bereits im Kleinkindalter. Ihr Sohn Harm H. Emminga aber erlebte die Anfänge im Wilden Westen Amerikas bereits sehr bewusst.
Später führte er nicht nur viele Gespräche mit den ersten Siedlern, er hielt ihre Geschichten auch schriftlich fest. Er beschreibt sehr anschaulich, was die Ostfriesen in die Fremde trieb – und was sie dort vorfanden. Im Jahr 1998 veröffentlichte die Golden Historical Society zudem das Buch „When the Wind blows ....“ von der mittlerweile ebenfalls verstorbenen Anna Wienke. Ihre Großmutter war Anna Emminga, die jüngste Tochter der Auswanderer Hinrich und Margaretha Emminga. Auch Anna Wienke hat sich intensiv mit ihrer Familiengeschichte und der Entwicklung ihrer Heimatgemeinde auseinandergesetzt und diese zu Papier gebracht.
Golden brauchte eine Mühle
In den Jahren 1843 bis 1848 besiedelten die ersten vier Familien das Land in der „South Prairie“, der südlichen Prärie. Viele wollten damals ihr Glück in einem fremden Land versuchen – niemals getrieben von purer Abenteuerlust, sondern meist aufgrund von Hunger, Armut oder Kriegen in der Heimat. Schon 1852 waren es 14 Familien, die die Wildnis von Illinois kultivierten. 12 dieser 14 Familien stammten aus Ostfriesland. Die Ostfriesen konnten mit dem sumpfigen Boden umgehen. Sie entwässerten das Land und machten es urbar. Und sie schrieben Briefe nach Hause. Briefe, die andere motivierten, ebenfalls den Schritt ins Ungewisse zu wagen.
Einen Brief wie diesen hatte auch Hinrich Emmingas Familie erhalten. Hinrich Franzen war schnell klar, dass die ständig wachsende Gemeinschaft eine eigene Mühle brauchen würde. Sein Schwager Emminga war Mühlenbauer. Offenbar hatte Franzen dem jungen Mühlenbauer in Aussicht gestellt, er könne in Amerika in zwei, drei Jahren das verdienen, wofür er in Ostfriesland ein ganzes Leben brauchen würde, beschreibt es Anna Wienke. Dieser Lockruf verfehlte seine Wirkung nicht.
Die ersten Siedler fanden unberührtes Land vor
Harm Emminga ging später selbst als Unternehmer, Geschichtsschreiber und Gründer der ersten Bank von Golden in die lokale Geschichte ein. Er machte es sich früh zur Aufgabe, die Ortsgeschichte aufzuzeichnen. So beschrieb er auch das Land, das die ostfriesischen Siedler vorfanden. Es sei wildes Land gewesen, unberührt von jeglicher Zivilisation. Zunächst galt es als „New Ostfriesland“. Die Ureinwohner und die Büffel waren bereits weiter gen Westen verdrängt worden.
Wilde Tiere wie Bären, Wölfe und Wildkatzen hätten die ersten Siedler in großer Anzahl erlegt. In der Prärie lebten damals Kaninchen, Eichhörnchen und Wild. Es gab Frösche und Schildkröten, die so groß wie Füße waren. Und Klapperschlangen und andere Giftschlangen, die den Menschen das Leben schwer machten. Wer nach einem Biss kein Gegengift zur Hand hatte, starb. Im Herbst lebten die Menschen in ständiger Angst vor Bränden. Das viele trockene Gras der Prärie brannte wie Zunder. Die frühen Bewohner lebten in Blockhütten und erledigten sämtliche Wege und ihre Landwirtschaft mit Ochsenkarren. Auch der beschwerliche Weg zur nächstgelegenen Mühle wurde mit dem Ochsenkarren zurückgelegt. Der gefährliche Weg nahm Tage in Anspruch. Hinzu kamen teilweise weitere Tage des Wartens, bis das Mehl gemahlen werden konnte.
Mühlenbau war kräftezehrende Handarbeit
Auch die Auswanderung selbst ist überliefert: Gut zwölf Wochen dauerte beispielsweise die Reise der Franzens in die Neue Welt, hält ihr Neffe Harm Emminga später fest. Zweimal war das Schiff zurückgekehrt nach England, da es in einen Sturm geraten und beschädigt worden war. Ihnen ging der Proviant aus, die Menschen an Bord wurden krank. Ende 1851 machte sich auch die damals vierköpfige Familie Emminga auf den Weg nach New Orleans, wo sie im Februar 1852 ankam. Auf der Überfahrt traf die junge Familie auf das kinderlose ältere Ehepaar Janssen. Sie freundeten sich an.
Noch während der Schiffsreise waren Emmingas und Janssens sich einig: Janssens gingen mit Emmingas nach Golden und fungierten als Geldgeber für die Mühle, die Hinrich Emminga dort bauen wollte. Letztendlich kam es zu einem Bruch, doch die Mühle wurde rund zweieinhalb Jahre nach Baubeginn fertig. Emminga errichtete zunächst das Wohnhaus und die Scheune für seine Familie. Er fertigte sein gesamtes Werk – wie anschließend auch die Mühle selbst – aus Holz.
Alle packen mit an
Es muss eine unglaubliche Plackerei gewesen sein. Jeden einzelnen Baum schlug Emminga mit der Axt und sägte ihn per Hand. Seine Frau Margaretha unterstützte ihn bestmöglich. Wann immer der gottesfürchtige Mühlenbauer körperlich nicht mehr weitermachen konnte oder gar entmutigt war, stand seine Frau ihm bei. Sie half ihm sägen und baute ihn auf. Die gesamte Gemeinde packte 1854 mit an, als Emminga aus den vielen Holzteilen die Mühle wie ein gigantisches Puzzle zusammensetzte. Mehr als zwölf Meter hoch sollte das fertige Bauwerk sein. Alle halfen, die schweren Holzteile in die passende Position zu bringen.
Ein Mühlstein wurde in Frankreich bestellt und per Schiff und Ochsenkarren nach Golden transportiert. Um dies zu bewerkstelligen, musste Emminga sich Geld leihen. Alle Nachbarn bürgten für ihn – als Sicherheit für den Geldverleiher. Im Juni 1954 nahm die Mühle ihren Betrieb auf. Neun Jahre lang betrieb Emminga sie. Dann verkaufte er sie an Franzen – und ging zurück nach Ostfriesland. Offenbar hielt er das Heimweh nicht mehr aus – sein Sohn Harm schreibt, seinen Eltern sei es zwar wirtschaftlich zunehmend besser ergangen, doch das Heimweh habe das Ehepaar geplagt. Sie hätten vor allem die Kirche und die Schule vermisst.
Drei Mühlen auf zwei Kontinenten
1863 kehrte die Familie zurück nach Ostfriesland. Nur wenig ist darüber überliefert, aber sicher ist: Hinrich Reemts Emminga baute eine zweite Windmühle. 1866 stellte er sie fertig und verdiente abermals seinen Lebensunterhalt als Müller. 1868 starb seine Frau Margaretha. Nur ein Jahr später heiratete ihr Witwer Peterje Bengen (1831-1907). Doch wieder hält es ihn nicht lange an einem Ort: Schon 1872 geht die Familie zurück nach Golden. Dort baut Hinrich Emminga, mittlerweile wird er in Amerika jedoch offenbar Henry genannt, seine dritte und letzte Mühle.
Die Bauweise unterschied sich von seinem Erstling, welchen er Jahre zuvor ganz in der Nähe errichtet hatte. Zuletzt nutzte er Holz aus einer Sägemühle, was den Baufortschritt erheblich beschleunigte. Binnen eines Jahres war die Prairie Mill fertig. Abermals war Emminga als Müller aktiv. Es wird davon ausgegangen, dass alle drei Mühlen nahezu identisch waren. Die erste von ihm in Golden errichtete Mühle ist nicht erhalten. Die Mühle Felde und die Pairie Mill von Golden aber stehen noch heute.
Hinrich Reemts Emminga aber kam noch immer nicht zur Ruhe. Im Jahr 1879 ging er ein letztes Mal an Bord eines Schiffes und kehrte endgültig nach Ostfriesland zurück. 1888 starb er und wurde in Holtrop beigesetzt.