Migration Reißt die CDU die Brandmauer zur AfD ein?
Ostfrieslands Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann ist überzeugt: „Was richtig ist, wird nicht falsch, weil die Falschen zustimmen.“ SPD, Grüne und FDP hätten zudem die nötige Mehrheit in der Hand.
Berlin/Leer - Es geht um eine härtere Migrationspolitik – dauerhafte Kontrollen an allen deutschen Grenzen und deutlich mehr Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber. CDU-Chef Friedrich Merz fordert SPD und Grüne auf, den entsprechenden Unionsanträgen zuzustimmen, um im Bundestag eine Abgrenzung von der AfD zu erzielen. Bei den Abstimmungen „liegt es an der SPD, an den Grünen und an der FDP, zu verhindern, dass es Mehrheiten gibt, die keiner von uns will“, sagte der Unionskanzlerkandidat am Montag nach Beratungen der Parteispitze in Berlin.
Noch am Sonntagabend hatte Merz im ZDF erklärt, dass er auch eine Zustimmung der AfD für seine Migrationspläne in Kauf nehmen würde. Er werde die Anträge zur Verschärfung der Migrations- und Sicherheitspolitik in den Bundestag einbringen, „unabhängig davon, wer ihnen zustimmt“. Ist damit die Brandmauer der Union zur AfD gefallen?
Connemann: Die Brandmauer steht
„Die Brandmauer steht!“, teilt die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann (Hesel) auf Nachfrage unserer Redaktion mit. Es werde „keine Koalition, keine Zusammenarbeit, keine Absprachen mit der AfD geben“, betont die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT). Die AfD sei der „politische Gegner“. „Wer die illegale Migration bekämpft, entzieht der AfD die Arbeitsgrundlage“, ist Connemann überzeugt. Sie sagt aber auch: „Was richtig ist, wird nicht falsch, weil die Falschen zustimmen.“
Ebenso wie ihr Parteichef Merz sieht aber auch die Ostfriesin die Ampel-Parteien in der Pflicht: „Wir erwarten, dass sich die bisherigen Regierungsparteien ernsthaft mit unseren Vorschlägen auseinandersetzen und keinen billigen Populismus betreiben. SPD, die Grünen, FDP haben es jetzt in der Hand und können es nicht mehr aussitzen“, so Connemann. „Die Zeit der Betroffenheitslyrik ist vorbei. Es ist die Zeit der Entscheidungen. Wir brauchen und wollen kontrollierte Zuwanderung. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass die unkontrollierte Zuwanderung gestoppt wird“, ist die CDU-Politikerin überzeugt.
Dreh- und Angelpunkt dafür sei die Zurückweisung an den Grenzen. „Die Behauptung der Bundesregierung, das sei nicht möglich, ist Populismus“, urteilt Connemann. SPD und Grüne werfen Merz und der Union vor, mit ihrem Vorgehen gegen Verfassung und Europarecht zu verstoßen. „Die Anträge sind in Teilen europarechtswidrig oder verfassungswidrig, und man kann nicht sehenden Auges das Recht brechen, um danach das Recht zu ändern“, sagte etwa Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck in den ARD-„Tagesthemen“ und warnte vor einem Ende des Rechtsstaates.
Kontrollen und Zurückweisungen an der Grenze
Connemann hingegen hält die Zurückweisung an der Grenze für rechtlich möglich. „Dänemark, Schweden, Finnland, Italien, Frankreich, die Niederlande weisen zurück – und diese Länder leben nicht in einer anderen EU als Deutschland.“ Im Gegenteil: „Deutschland ist für die Migration das einzige relevante Land in Europa, das sich noch an die Dublin-Verordnung hält“, sagt Connemann. Es gebe die klare Regelung: „Wenn europäisches Recht nicht funktioniert, dann muss nationales Recht gelten. Wir halten uns also mit unseren Vorschlägen an europäisches Recht.“
Den deutschen Ausländerbehörden ist in den Jahren 2023 und 2024 in Zehntausenden Fällen nicht gelungen, Asylbewerber nach dem Dublin-Verfahren in das jeweils zuständige EU-Partnerland zu überstellen – obwohl in all diesen Fällen die förmliche Zustimmung des jeweiligen Landes vorlag. Das geht aus Statistiken des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen.
Einer dieser Fälle war der mutmaßliche Angreifer von Aschaffenburg, der nach Bulgarien hätte überstellt werden sollen. Allerdings dauerte die Übermittlung von Bescheiden auf dem Behördenweg so lange, dass die für Dublin-Überstellungen geltende Frist von sechs Monaten – beginnend mit dem Tag der Zusage des aufnehmenden Landes – nicht mehr eingehalten werden konnte.
Das Dublin-Verfahren ist ein Bestandteil des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Eine der Regelungen besagt, dass in vielen Fällen derjenige Staat für die Abwicklung des Asylverfahrens zuständig ist, in dem der Geflüchtete zuerst EU-Boden betreten hat. Bekannt ist, dass einige Länder – darunter vor allem Italien – der Rücknahme zwar zustimmen, in der Praxis aber unerfüllbare Bedingungen für die Rücknahme von Dublin-Flüchtlingen stellen und damit die Überstellungen fast unmöglich machen.
Container und Kasernen für die Unterbringung
„Ich werde mit den Themen, die wir haben und die seit letzter Woche Mittwoch eine neue Dringlichkeit erfahren haben, in dieser Woche sehr konsequent durch den Deutschen Bundestag gehen“, kündigte Merz an. Die Union werde sich weder von der SPD noch von den Grünen, „ganz sicher auch nicht von der AfD, sagen lassen, welche Anträge, welche Gesetzentwürfe wir im Deutschen Bundestag zur Abstimmung stellen“, sagte Merz.
Die FDP-Spitze unterstützt die Vorschläge von Merz. Deren Geist entspreche dem, „was wir unter einer neuen Realpolitik in der Migration verstehen, nämlich mehr Kontrolle und Ordnung“, sagte der designierte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann nach einer Präsidiumssitzung in Berlin. „Wer sich diesem Thema verweigert, der macht die Extremisten nur groß.“
Auch BSW-Chefin Sahra Wagenknecht hat Zustimmung zu den Plänen von Merz geäußert. Ohne die AfD hätte die Union gemeinsam mit FDP und BSW aber keine Mehrheit jenseits von SPD und Grünen.
Dauerhafte Kontrollen an allen deutschen Grenzen und deutlich mehr Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber seien praktisch umsetzbar, machte Merz deutlich. „Die deutsche Bundespolizei hat ein sicheres Gespür dafür, wen sie rauswinken muss und wen nicht.“ Der Grenzverkehr funktioniere dann weitestgehend störungsfrei. Mehr Abschiebungen ausreisepflichtiger Asylbewerber dürften nicht daran scheitern, dass es die nötige Infrastruktur nicht gebe, um sie in Gewahrsam zu nehmen. Unterbringungsmöglichkeiten müssten so schnell wie möglich geschaffen werden. Möglich seien Containerbauten, es gebe außerdem leerstehende Kasernen.
Union fordert dauerhafte Grenzkontrollen
Unter anderem will die Union mit dem Antrag dauerhafte Grenzkontrollen zu allen Nachbarländern sowie ein Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumente durchsetzen – auch wenn sie ein Schutzgesuch äußern. „Grenzkontrollen sind nicht nur möglich, sondern auch geboten. Und sie funktionieren – das haben die Grenzkontrollen während der EM gezeigt“, betont Connemann.
Während der verschärften Grenzkontrollen zur Fußball-Europameisterschaft hatte die Bundespolizei mehr als 1,6 Millionen Menschen kontrolliert, unter anderem gab es auch Kontrollen am Grenzübergang bei Bunde. Dabei wurden an allen Grenzen insgesamt 9172 unerlaubte Einreisen festgestellt.
Aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sind die Pläne von Merz ohne Tausende neue Mitarbeiter nicht umzusetzen. „Benötigt würden sicherlich 8000 bis 10.000 zusätzliche Kräfte, um die Grenze umfänglich zu kontrollieren“, sagte der GdP-Chef für die Bundespolizei, Andreas Roßkopf, der „Rheinischen Post“. Die Bereitschaftspolizei unterstütze bereits schon jetzt jede Woche mit etwa 1000 Kolleginnen und Kollegen an der Grenze.
Mit Material von DPA